DeepNostalgia: Tool erweckt alte Familienfotos zum Leben, aber...
Ein verlockendes Angebot, doch sollte man sich der Risiken bewusst sein.Screenshot: watson
Dieses Online-Tool erweckt alte Fotos zum Leben – das ist ziemlich ... 😱
Das Unternehmen MyHeritage bietet mit «DeepNostalgia» kostenlos die Möglichkeit, alte Porträtaufnahmen zu animieren. Die Resultate sind verblüffend, doch sollte man sich gut überlegen, was man preisgibt.
Bei Twitter, Facebook und Co. kursieren seit ein paar Tagen unter dem Hashtag #DeepNostalgia zahlreiche animierte Fotografien von längst gestorbenen Persönlichkeiten.
Hier wurde ein Porträt der berühmten Naturwissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin Marie Curie (1867-1934) animiert:
Hinter den animierten Porträts steckt das US-Unternehmen MyHeritage, eine sogenannte Genealogie-Plattform, die Stammbäume erstellt, basierend auf persönlichen Angaben und DNA-Tests der User. Die 2003 in Israel gegründete Firma stellt die Spezialsoftware namens «DeepNostalgia» allen Interessierten zu Werbezwecken zur Verfügung.
Der Service könne kostenlos auf der Website von MyHeritage genutzt werden, berichtete The Verge (am 28. Februar) und rührte damit natürlich mächtig die Werbetrommel.
So funktionierts:
Man lädt ein Foto hoch und wird nach dem Upload aufgefordert, sich zu registrieren. Dies ist über eine E-Mail-Adresse möglich, oder via Google- oder Facebook-Login.
Nach der Registrierung läuft der Prozess automatisiert ab; auf einem Server wird das Bild durch Algorithmen verbessert, dann werden die Gesichtszüge durch Künstliche Intelligenz erfasst und animiert und schliesslich wird aus der erzeugten Animation ein GIF erstellt.
In den FAQ auf der Website heisst es, dass die Fotos nicht an Dritte weitergegeben würden. Zudem versichern die Anbieter auf der Hauptseite: «Fotos, die ohne Anmeldung hochgeladen werden, werden automatisch gelöscht, um Ihre Privatsphäre zu schützen.»
Logischerweise reizt es viele Menschen, ihre Vorfahren ein bisschen zum Leben zu erwecken. Es kann durchaus herzerwärmend sein, wenn einen die vor vielen Jahren gestorbene Urgrossmutter verschmitzt lächelnd anblickt. Darum war der Deep-Nostalgia-Server immer wieder überlastet.
Wo ist der Haken?
MyHeritage bietet den Gratis-Service selbstverständlich alles andere als uneigennützig an. Das Unternehmen erhofft sich möglichst viele Neuanmeldungen. Und die registrierten Personen werden dann mehr oder weniger direkt aufgefordert, einen Stammbau zu erstellen. Sie sollen also eine DNA-Probe einreichen, mit der Aussicht auf neue Erkenntnisse zur Abstammung und zu möglichen Verwandtschaften.
screenshot: myheritage.com
Man schickt also eine Speichelprobe an die Firma und wird über die eigene Herkunft aufgeklärt. Was soll daran falsch oder gar gefährlich sein, denn im besten Fall erfährt man vielleicht von einer bis dato unbekannten Erbkrankheit?
Im Internet Health Report (Statusbericht zur Internetgesundheit) wurde schon 2019 auf zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen rund um die kommerziellen DNA-Sammler hingewiesen. Die gravierendsten Probleme seien:
Die Ergebnisse stimmen womöglich nicht. Und Abstammungstests seien ungenauer, wenn man keine europäischen Wurzeln habe.
Die eigene DNA sagt nichts über die eigene Kultur aus. Zudem würden Ergebnisse für rassistische Zwecke missbraucht.
Es sei unmöglich, DNA-Tests anonym durchzuführen.
Man setze durch das Einreichen einer Speichelprobe die Anonymität aller Familienmitglieder aufs Spiel.
Das Ergebnis könnte einen traumatisieren. Etwa wenn Tests schockierende Familiengeheimnisse oder Anfälligkeiten für bestimmte Krankheiten ans Licht brächten.
Die Anonymität von Samen- und Eizellspendern könnte irgendwann nicht mehr gewährleistet sein.
«Du bist das eigentliche Produkt. Dein genetischer Code ist wertvoll. Sobald Du ihn an andere weitergibst, hast Du keine Ahnung, welches Unternehmen zu welchem Zweck darauf zugreifen kann.»
Internet Health Report
Die grossen Pharmakonzerne wollen an die DNA der (oftmals ahnungslosen) User gelangen.
Ein Unternehmen könne seine Datenschutzrichtlinien ändern. Oder noch schlimmer: Ein Unternehmen (und damit auch deine DNA) könne den Eigentümer wechseln.
Die bei den Unternehmen gespeicherten Informationen zur DNA zu vernichten, könne sich als schwer herausstellen. Die gesetzlichen Vorschriften bezüglich DNA-Datenbanken seien von Land zu Land unterschiedlich.
Die Polizei könne sich in gewissen Ländern, wie beispielsweise den USA, Zugriff auf die DNA verschaffen. Die Ergebnisse könnten zudem in eine globale Datenbank einfliessen. In mehreren Ländern hätten Strafverfolgungsbehörden uneingeschränkten Zugang zu genetischen Profilen.
Deine auf Servern gespeicherten Daten könnten gehackt, geleakt oder anderweitig gestohlen werden.
Die standardmässige User-Vereinbarung erlaube es den kommerziellen Genealogie-Plattformen, die genetischen Informationen gebührenfrei an andere zu übertragen. Die Daten kämen dann in der Produktentwicklung, der Erstellung benutzerdefinierter Angebote, der Forschung und vielen anderen Bereichen zum Einsatz.
Früher oder später könnte man deswegen Diskriminierung zum Opfer fallen. «Wer weiss – je nachdem, wo Du lebst, kann es sein, dass Du irgendwann keine andere Wahl hast, als Deiner eigenen Krankenkasse Deine genetischen Informationen mitzuteilen.»
Wie funktionierts?
Für sein DeepNostalgia-Tool hat MyHeritage beim Tech-Unternehmen D-ID eine Software für Künstliche Intelligenz (KI) lizenziert. So gelingt es den Effekt zu erzeugen, dass sich ein Standfoto scheinbar bewegt. Es sei ein bisschen wie Apples «Live Photo»-Funktion fürs iPhone, konstatiert The Verge. Es würden ein paar Sekunden Video hinzufügt, um Handy-Knipsern zu helfen, die beste Aufnahme zu finden.
Und jetzt du!
Hast du schon mal dein DNA-Probe bei einem kommerziellen Anbieter wie Ancestry oder MyHeritage eingereicht? Bist du der Meinung, dass trotz der oben aufgeführten Risiken und Nebenwirkungen die Vorteile überwiegen?
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Die interdisziplinäre Ringvorlesung vom Zentrum für Altertumswissenschaften (ZAZH) der Uni Zürich dreht sich dieses Jahr um die Frage, was Naturkatastrophen, Epidemien und Plagen mit uns anrichten.
«Hätte ich doch unbekannte Reden, fremdartige Sprüche, neue Worte, noch nie gebraucht und frei von Wiederholungen, nicht die Sprüche der Vergangenheit, welche die Vorfahren schon brauchten.
Ich presse meinen Leib aus von dem, was er hält, ich siebe alle meine Worte; denn Wiederholung ist alles, was man sagt, und alles Gesagte ist schon einmal gesagt.
Von der ersten Generation bis zu denen, die einst kommen, alle ahmen nur nach, was vergangen ist. Wüsste ich doch, was andere nicht wissen, was noch …