Edward Snowden, unermüdlicher Kämpfer für ein freies Internet. screenshot: youtube
Die offizielle Lancierung der Schweizer Corona-Warn-App steht bevor. Zeit, zu schauen, was der berühmte Whistleblower davon halten könnte.
Dank Edward Snowden, dem NSA-Whistleblower, kennen wir das erschreckende Ausmass staatlicher Überwachung.
Die USA und weitere Grossmächte haben nach 9-11 ein Big-Brother-System ausgebaut und über Geheimdienste weltweit installiert. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden Freund und Feind nonstop bespitzelt.
Nachdem sich wegen Covid-19 eine weltweite Pandemie abzeichnete, warnte Snowden vor einer gefährlichen «Nebenwirkung»: Massenüberwachung von nie dagewesenem Ausmass. Seine Befürchtung: Zur Seuchenbekämpfung eingeführte Massnahmen und die Verletzungen der Grundrechte würden akzeptiert und auch nach der Krise weitergehen, weil die Mächtigen nicht mehr darauf verzichten wollen.
Damit sind wir bei den Corona-Warn-Apps. Und einer überraschenden Feststellung: Snowden, der fünf Jahre nach den Enthüllungen in Russland im Exil leben muss und als Aktivist für ein freies Internet kämpft, wird SwissCovid lieben.
Woher ich das weiss? Er hat vor gut zwei Monaten fast genau das Gleiche vorgeschlagen. Und zwar in einem Talk mit seinem Freund, dem US-Journalisten Glenn Greenwald.
Snowden schilderte, wie eine App den Menschen helfen könne, Covid-19 zu bekämpfen. Und er sagte:
Edward Snowden
Das Witzige sei, fuhr Snowden fort, dass eine solche Anwendung relativ einfach zu programmieren sei. «Diese Plattform, wisst ihr, hätte in vier Tagen von einem Haufen Universitätsforscher zusammengezimmert werden können.»
Mit seiner Schätzung zum Aufwand lag der Technik-affine Ex-Geheimagent daneben, wie sich herausstellen sollte. In der Realität dauerte es rund 20 mal länger. Aber dafür hat nun die unter der Führung der Eidgenössisch-Technischen Hochschulen Lausanne und Zürich entwickelte SwissCovid-App eine grundsolide wissenschaftliche Basis. Und was den berühmten Whistleblower besonders freuen dürfte: Die «Schweizer Lösung» schlägt seine Idee beim Datenschutz.
Damit schilderte er natürlich nichts Anderes als digitales Contact Tracing, also die Rückverfolgung von zwischenmenschlichen Kontakten mithilfe der Smartphones.
Wenn es solche Handy-Kontakte mit infizierten Personen gab, meinte Snowden, solle man sich vorrangig testen lassen können. Und man erhalte Zugang zu ärztlicher Behandlung, weil klar sei, dass man potenziell exponiert war.
Video: YouTube/The Intercept
Das war am 8. April 2020.
Wenige Tage davor hatte ein interdisziplinäres Team von Forscherinnen und Forschern ihr erstes «Lebenszeichen» im Internet gegeben. In Form eines Textdokuments, publiziert auf der Programmierplattform GitHub.
Es war der offizielle Auftakt zu dem Projekt, das eine selten sperrige Bezeichnung trägt: «Decentralized Privacy-Preserving Proximity Tracing». Den meisten Leuten dürfte höchstens die Abkürzung in Erinnerung bleiben: DP-3T.
DP-3T kann sie alle schützen.
Während Snowden bei seiner App-Idee von Smartphone-«Bewegungen» sprach, geht es bei DP-3T um «Begegnungen». SwissCovid verwendet keine GPS-Standortdaten, sondern Funksignale, anonym und auf kurze Distanz.
Sie ist eine der wenigen Frauen im Team: EPFL-Professorin Carmela Troncoso. Die 37-jährige Spanierin leitet das Labor für Sicherheits- und Datenschutztechnik an der ETH Lausanne und stiess früh zu DP-3T. bild: zvg
Die Mitglieder des ungewöhnlichen Wissenschafts-Konsortiums kommen von acht Forschungseinrichtungen aus halb Europa. DP-3T ist aber auch eine ungewöhnliche Form von «Private-Public-Partnership» – also einer Zweckgemeinschaft von öffentlichen und privaten Stellen. Bekanntlich stiess die Zürcher Softwareschmiede Ubique mit ihren erfahrenen App-Entwicklern früh zum Team und konnte Know-how (und eine App) beisteuern. Und für einmal vermochte auch die Bundesverwaltung bei einem Informatik-Projekt zu glänzen.
In wissenschaftlicher Hinsicht hat DP-3T eine internationale Vorreiterrolle erlangt, zahlreiche Länder übernehmen das erarbeitete Protokoll für ihre eigenen Tracing-Apps.
Das hat natürlich vor allem mit den beiden mächtigen US-Konzernen zu tun, die sich früh von der «Schweizer Lösung» überzeugen liessen und zu Partnern wurden.
Apple und Google entwickeln für ihre Betriebssysteme iOS und Android die «Exposure Notification»-Software. Sie bieten Schnittstellen an, die gewährleisten, dass Bluetooth-basierte Tracing-Apps effizient und zuverlässig funktionieren.
Wie effizient und zuverlässig das in der Praxis klappt, werden wir hoffentlich schon sehr bald erfahren. Am 25. Juni will das Bundesamt für Gesundheit die SwissCovid-App offiziell lancieren. Das wird auch höchste Zeit, angesichts der massiven Lockerung der Zwangsmassnahmen.
Anmerkung: Edward Snowden hat sich bislang nur indirekt zu dezentralen Tracing-Systemen geäussert, die auf der Apple-Google-Software aufbauen. Bei Twitter verlinkte der Whistleblower auf einen Beitrag der Menschenrechts-Organisation ACLU, der American Civil Liberties Union. Darin sind Anforderungen an Corona-Warn-Apps formuliert.
SwissCovid erfüllt schon fast alle:
Bei den zwei letzten Punkten fehlt das Häkchen, weil eine Beurteilung erst nach der offiziellen Lancierung der App Sinn macht, respektive überhaupt möglich ist. Zudem ist anzumerken, dass Teile der Betriebssysteme Android und iOS nicht Open-Source sind, die SwissCovid-App schon.