Jacqueline Fehr, die erste SP-Nationalrätin, die vom kritischen Standpunkt gegenüber der Game-Industrie abgerückt ist. keystone/montage watson
Vor sechs Jahren wollte sich die SP mit einem harten Durchgreifen gegen Ego-Shooter-Games profilieren. Weil das gründlich schiefging, hätscheln dieselben Parlamentarier jetzt die Game-Industrie: Die Geschichte einer Kehrtwende.
Die SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr möchte Zürcher Regierungsrätin werden. Und zwar am 12. April 2015. Deshalb macht Fehr Wahlkampf. Sie geht auf Podien, sucht Präsenz in den Medien und möchte auch Bevölkerungsgruppen ansprechen, die sie nicht sowieso wählen.
Um die Jungen und die zahlenmässig nicht zu vernachlässigende Gruppe der Gamer anzusprechen, lancierte Fehr im Nationalrat medienwirksam ein Postulat, das die Bedingungen für die Game-Industrie in der Schweiz verbessern soll. Das hat funktioniert, sie schaffte es mit dem Jugend-affinen Thema auf die Frontseite von «20 Minuten», der meistgelesenen Zeitung und Online-Plattform der Schweiz. Auch SRF, watson und weitere Medien berichteten.
Frontseite von «20 Minuten» vom 13. März 2015. screenshot «20 Minuten»
Den Vorstoss Fehrs haben unter anderen auch die SP-Parlamentarier Marina Carobbio, Edith Graf-Litscher, Andy Tschümperlin, Eric Voruz und Ada Marra mitunterschrieben. Diese fünf SPler legen wie Jacqueline Fehr und rund ein Dutzend weitere Parteikollegen eine bemerkenswerte Wandlung in ihrer politischen Haltung bezüglich Game-Industrie an den Tag.
Am 30. April 2009, als Fehr noch nicht in den Zürcher Regierungsrat gewählt werden wollte, unterzeichnete sie die sogenannte Motion Allemann mit, die ein Verbot von sogenannten «Killerspielen» verlangte. Damals war es politisch opportun, gegen die Game-Industrie zu agieren. Kurz zuvor, am 11. März 2009, erschoss ein 17-Jähriger an der Albertville-Schule in Winnenden (D) 15 Menschen. Carobbio, Graf-Litscher und Tschümperlin unterschrieben die Motion und stimmten im Rat dafür. Marra und Voruz unterzeichneten zwar die Motion von Evi Allemann (SP) nicht, stimmten aber dafür.
Jacqueline Fehr unterschrieb diesen Passus der entsprechenden Motion im Nationalrat. keystone/montage watson
Jacqueline Fehr formulierte diesen Passus in ihrem eigenen Postulat im Nationalrat. keystone/montage watson
SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr vergangene Woche gegenüber watson.
Die Motion Allemann zum Verbot von Killerspielen unterschrieben 2009 insgesamt 27 SP-Nationalräte. Auch im Kanton Bern machten SP-Volksvertreter gegen die Game-Industrie scharf. Urheber der Kampagne war der damalige SP-Grossrat und spätere Berner SP-Präsident Roland Näf. Dieser gründete eigens die «Vereinigung gegen mediale Gewalt», reichte persönlich gegen Media Markt eine Strafanzeige ein, weil der Elektronik-Detaillist das Spiel «Stranglehold» verkauft hatte und startete eine Standesinitiative zum «Verbot von Killerspielen».
Danach fiel die SP-Front gegen die Game-Industrie nach und nach in sich zusammen. Es folgten keine weiteren Amokläufe, die die Forderungen der SPler pseudo-legitimierten. Und die verschiedenen Gamer-Vereinigungen und Branchenverbände liefen auf ihren Plattformen und über die Medien Sturm gegen die Verbotspläne.
SP-Fraktionspräsident Andy Tschümperlin unterschrieb diesen Passus in der entsprechenden Motion im Nationalrat. keystone/montage watson
Sechs Jahre später unterzeichnete er die Motion Fehr mit dem entsprechenden Passus. keystone/montage watson
Bundeshaus-Fraktionspräsident Andy Tschümperlin vergangene Woche gegenüber watson, nachdem er sämtliche Zitate zurückgezogen hatte.
Als erste bemerkte Jacqueline Fehr, dass die SP sich verrannt hatte. Bereits im Herbst 2009 an einem Podium liess sie verlauten: «Ich habe mit vielen Jugendlichen Gespräche geführt und war erstaunt darüber, wie sehr sie ein Verbot dieser Spiele stören würde und über das Unverständnis gegenüber diesem Verbot.»
Nach und nach knickten auch Näf und die anderen ein, nachdem sowohl der Bundesrat als auch die Gerichte die SP ins Leere laufen liessen. Im April 2014 musste Roland Näf seine «Vereinigung gegen mediale Gewalt» auflösen, weil niemand mehr mitarbeiten wollte.
Mittlerweile hat die SP sich darauf verlegt, die Gruppe der Gamer ins Boot zu holen, die gemäss einer Studie des Branchenverbandes SIEA über zwei Millionen Personen ausmacht, von denen der grösste Teil auch wählen und abstimmen darf.
Gegenüber watson sagen sowohl Tschümperlin als auch Fehr, dass man mit der nun angeregten Standortförderung für die Game-Industrie natürlich keine blutrünstigen oder kriegerisch angehauchten Spiele fördern wolle. Bloss wird das nicht möglich sein. 2015 belegten in den europäischen Verkaufscharts der Computergames Ego-Shooter und andere Kriegsspiele in den Top Ten sechs Plätze.
Mit diesen Zahlen konfrontiert, erinnert sich Edith Graf-Litscher ihrer ursprünglichen Haltung: «Ich werde darauf pochen, dass solche Spiele auf gar keinen Fall unterstützt werden.»