Der obskure Wanderprediger Rasputin. bild: wikimedia
Raue Mengen Zyankali und vier Revolverkugeln reichten gemäss den Memoiren Fürst Jussupows nicht aus, um den obskuren Wanderprediger Rasputin umzubringen. Erst das eisige Wasser der Newa gab ihm den Rest. Ein russischer Mord-Mythos wird 102.
Dieser Text wurde bereits vor zwei Jahren einmal veröffentlicht. Anlässlich des Jahrestages von Rasputins Ermordung am 30. Dezember 1916 haben wir ihn nochmals aufgeschaltet. Und nun wünschen wir bestes Lesevergnügen!
Als Fürst Felix Jussupow 1887 in St. Petersburg zur Welt kam, war seine Mutter enttäuscht. Sie hatte sich so sehr ein Mädchen gewünscht. Vielleicht darum steckte sie den kleinen Felix in Frauenkleider, die er in seiner Jugend dann auch bereitwillig anbehielt, um in solcherlei Aufmachung in teuren Restaurants französische Chansons zu singen.
Dieser schöne junge Mann war reicher als jedes Mitglied der Romanows. Seine Familie besass vier Paläste in St. Petersburg, drei in Moskau, 37 Anwesen verstreut in ganz Russland, Kohle- und Eisenerzminen, diverse Fabriken und Ölfelder. Jussupow war ein kosmopolitischer Bohemien, er kiffte und soff, umgab sich mit französischen und englischen Künstlern und verehrte Oscar Wilde.
Geheiratet hatte er dennoch. Und zwar die Nichte des regierenden Zaren Nikolaus II. Das hielt ihn indes nicht davon ab, mit dem Grossfürsten Dimitri Pawlowitsch zu schlafen, den er später in den Mordkomplott an dem Wundermönch hineinzog.
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18 Jahre vor Fürst Jussupows Geburt erblickte im tiefen Sibirien Grigori Rasputin das Licht der Welt. An seinem Aussehen war im Gegensatz zu seinem Mörder nicht viel Glanzvolles. Zu lange Arme hingen lustlos an einem dürren Körper. Und wenn seine knorrigen Bauernhände nicht gerade ruhten, dann stahlen sie Pferde.
Rasputin verliess mit 33 Jahren sein Heimatdorf Pokrowskoje, um durch Russland zu pilgern. Auf seinen Reisen sprach er mit den Menschen über Gott, und er soll mit seiner überzeugenden Rede sogar Theologen in argumentative Bedrängnis gebracht haben. Aber das war es nicht, was sein Wesen ausmachte. Es war seine innere Kraft, mit der er die Leute in seinen Bann zog. Etwas Mystisches und Mächtiges sass hinter seinen Augen. Und damit konnte er Krankheiten heilen.
So kam es, dass er im Herbst 1907 eiligst an den Zarenhof in St. Petersburg gerufen wurde. Der dreijährige Zarewitsch Alexei war gestürzt – und sein Blut gerann nicht von alleine. Er war Bluter.
Die letzten Romanows, 1914, von links nach rechts: Die Zarentöchter Olga und Maria, der Zar Nikolaus II. und die Zarin Alexandra, Zarentochter Anastasia, Zarewitsch Alexei und Zarentochter Tatjana. Bild: wikimedia
Rasputin soll nur an seinem Bettchen gestanden und gebetet haben, schreibt Olga – die Schwester Alexeis – und der Junge sei nicht nur geheilt, sondern kerngesund gewesen. Fortan wandelte der Wanderprediger mit seinen dreckigen Bauernstiefeln durch die Gemächer des zaristischen Hofes. Für die Romanows war er nichts Geringeres als ein Gesandter Gottes.
Die Bluterkrankheit Alexeis war der Öffentlichkeit nicht bekannt und nicht wenige begannen sich über Rasputins Anwesenheit am Hof zu wundern.
Bald formierte sich eine ganze Opposition, die die wildesten Geschichten über den obskuren Wanderprediger in die Welt setzten: Er saufe mit den dreckigen Zigeunern, mache gemeinsame Sache mit den Juden, er teile das Bett mit Huren und sogar die Zarin würde dem gottlosen Scharlatan die Eier kraulen. Ein deutscher Spion sei er, der am Niedergang Russlands und der Vernichtung der Soldaten im Grossen Krieg gegen Deutschland arbeite.
Anonyme Karikatur, 1916: Zar Nikolaus II. und seine Frau Alexandra sitzen wie zwei Puppen auf dem Schoss des Rasputin, der sie mit seinen dunklen Kräften nach seinem Willen lenkt. bild: harding
Rasputin wurde 1907 beschuldigt, Anhänger der Chlysten zu sein, einer Sekte, deren ekstatische Zeremonien zuweilen in sexuellen Orgien gipfelten. Beweise für seine Anhängerschaft gab es allerdings nicht. bild: wikimedia
Von all diesen Dingen war auch Fürst Jussupow überzeugt. Er machte den «Wundermönch», wie er ihn immer wieder in seinen Memoiren nennt, für alles Verderbliche verantwortlich, das an seinem Vaterland haftete. Und so bemühte er sich, den Mann kennenzulernen, dessen Wesen er als «unaussprechlich widerwärtig» empfand und dessen Tod er bald herbeizuführen gedachte – um, wie er glaubte, Russland vor dem Untergang zu bewahren:
Jussupow, «Rasputins Ende»
Nach der russischen Revolution 1905 richteten monarchistische Verbände Massenpogrome an Juden aus, bei denen Tausende unschuldiger Menschen bestialisch ermordet wurden. Sie würden die ganze Propaganda gegen die Monarchie finanzieren, so die Rechtfertigung. Rasputin hingegen unterstützte die Forderung nach Gleichberechtigung der Juden. Bild: getty images
Zwei Jahre lang besuchte Fürst Jussupow den ihm so verhassten Rasputin. Weil er auf «enge Fühlung» mit ihm gehen musste, um sein uneingeschränktes Vertrauen zu gewinnen. So hatte er es mit seinen Verbündeten – dem Grossfürsten Dimitrij Pawolwitsch und dem Leutnant Suchotin – besprochen. Der Fürst schreibt:
Jussupow, «Rasputins Ende»
Was in diesem «Ja» alles mitschwingt. Mindestens ein Rechtfertigungsversuch. Und tatsächlich gab es danach viele Gerüchte und Thesen über Jussupows Mordmotiv. Die radikalste stammt von Rasputins Tochter Maria: Der Fürst habe ihren Vater umgebracht, weil dieser keine Beziehung mit ihm eingehen wollte. Rasputin habe versucht, Jussupows Homosexualität mit Hypnose zu heilen. Er habe ihn gar über die Türschwelle gelegt und durchgeprügelt. Die Therapie schien wenig gefruchtet zu haben. Maria gibt weiter zu Protokoll, dass Jussupow sich bei einem seiner Besuche bei Rasputin nackt ausgezogen und von diesem verlangt habe, auf der Stelle seine Begierde zu befriedigen.
Jussupows Mitverschwörer: Grossfürst Dimitri Pawlowitsch war ein bekannter Schürzenjäger; unter seinen Affären war unter anderem Coco Chanel. Seine Beziehung zu Jussupow sorgte 1912/13 für Aufsehen. bild: pinterest
Diese kruden Details sind mit hoher Wahrscheinlichkeit gröbster Stumpfsinn. Bis auf die Tatsache, dass Jussupow tatsächlich von Rasputin hypnotisiert wurde. Zwecks Heilung eines von ihm nicht näher beschriebenen Leidens:
Jussupow, «Rasputins Ende»
Rasputins politischer Einfluss auf den Zaren kann so stark nicht gewesen sein. Weder in der Sache mit den Juden schenkte Nikolaus II. dem Wunderheiler Gehör, noch ging er auf seine Warnungen bezüglich des Eintritts in den Ersten Weltkrieg ein. bild: wikimedia
Vielleicht war der Fürst verliebt gewesen in diesen obskuren Wanderprediger. Vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls hat er alles daran gesetzt, seine Mordtat als unbedingte Pflicht darzustellen. Dafür lügt er sogar in seinen Memoiren und schreibt, Rasputin habe sich mit deutschen Spionen getroffen.
Der «Wundermönch» war bestimmt kein Heiliger. Er mochte die Zigeuner und vor allem ihre Musik, er mochte auch die Frauen, aber der Hof war durch ihn nicht zu einem Bordell verkommen – und die Zarin rührte er niemals an. Zudem war er Pazifist und riet dem Zaren, nicht in den Krieg einzusteigen:
Brief Rasputins an den Zaren Nikolaus II.
Wie die Romanfigur Raskolnikow in Dostojewskis «Schuld und Sühne» versucht sich der Fürst von der Richtigkeit des Mordkomplotts zu überzeugen. Tagelang liegt er wach und fragt sich, wie er überhaupt einen Menschen töten kann, wie er in vollem Bewusstsein einen solch hinterhältigen Plan schmieden und durchzuführen vermag. Und seine Antwort ist immer wieder dieselbe. Er scheint sie wie ein Sermon zu predigen – und spielt dabei die Rolle des Märtyrers:
Jussupow, «Rasputins Ende»
Rasputin sitzt mitten unter seinen Anhängern in seinem Salon, 1914. bild: wikimedia
Am Abend des 29. Dezember 1916 ist es so weit. Jussupow lädt Rasputin zu sich in seinen Palast an der Moika ein. Die zwei sind sich inzwischen so nahe, dass Rasputin ihn für einen wahren Freund hält. Alles ist vorbereitet. Jussupows Mitverschwörer, der Sanitätsarzt Dr. Lasowert, hat das Zyankali bereits in die drei Weingläser geschüttet und ebenso die Schokoladen- und Mandeltörtchen in einer unerhörten Dosis vergiftet. So berichtet das jedenfalls der Fürst in seinen Memoiren.
Rasputin habe alles verschlungen und auch den vergifteten Wein getrunken, doch es passierte gar nichts, schreibt Jussupow weiter. Der Mann scheint unsterblich zu sein. Und während er nach Stunden letztlich doch in seinem Stuhl zusammensinkt, ficht er einen unheimlichen Kampf mit seinem Mörder aus:
Jussupow, «Rasputins Ende»
Das Zimmer im Keller des Jussupow-Palastes, in dem Rasputin ermordet wurde. Von dem Mordkomplott gewusst haben ebenfalls zwei Mitglieder des britischen Geheimdienstes MI6. bild: wikimedia
Jussupow kommt wieder zu sich. Ein letztes Mal schaut er seinem Feind in die Augen, die nun «still in Sanftmut und Ergebenheit leuchten». Dann schiesst er.
Jetzt stürmen auch die anderen Verschwörer ins Zimmer. Rasputin liegt am Boden. Der Leutnant Suchotin und der Grossfürst Pawlowitsch machen sich auf, das Auto für den Abtransport der Leiche zu holen. Jussupow kniet noch einmal nieder zu Rasputin. Die Lider des Wundermönchs, die sich doch für die Ewigkeit geschlossen haben mussten, beginnen plötzlich krampfartig zu zittern:
Jussupow, «Rasputins Ende»
Dann steht er auf, «dieser abgestorbene, vergiftete und von Kugeln durchlöcherte Körper», bäumt sich auf, brüllt wie ein Tier und flüchtet auf allen Vieren durch eine geheime Tür, die in die Freiheit führt.
Das Foto zeigt den Innenhof des Palastes und die geheime Tür zwischen den beiden Fenstern auf der rechten Seite, durch die Rasputin nach Jussupows Schilderungen entfloh. bild: wikimedia
Nach dem vierten Schuss sinkt der Wundermönch am Ufer der Moika neben einem Schneeberg nieder. Jussupow gelingt es, den durch die Schüsse aufgeschreckten Polizisten wegzuschicken. Doch als er sich zum Schneeberg umdreht, liegt Rasputins Körper in anderer Stellung da.
Die Mörder wickeln den geschundenen Körper des Wundermönchs in ein Tuch, verschnüren ihn, packen ihn in den Wagen und fahren zur Grossen-Petrowski-Brücke. Erst dort, im eisigen Wasser der Newa, findet der Wundermönch nach den Schilderungen des Fürsten den Tod.
Die Autopsie an Rasputins Leiche ergab, dass sich weder Wasser in seinen Lungen, noch Zyankali in seinem Magen befunden hatte. Der Schuss in die Stirn beendete sein Leben, doch dieser findet bei Jussupows Schilderung nicht einmal Erwähnung.
Die Leiche Rasputins mit dem tödlichen Schuss in der Stirn. bild: wikimedia
Der Fürst wollte mit seiner fabulösen Geschichte wohl seinen mörderischen Dienst am Vaterland heroisieren. Und obwohl seine Täterschaft und die Mithilfe seiner einflussreichen Freunde schnell aufflog, gingen sie weitgehend straffrei aus. Denn bei einem grossen Teil der Romanow-Familie war der ermordete Wundermönch verhasst. Und sie übten einen solchen Druck auf den Zaren aus, dass dieser die polizeilichen Ermittlungen schnell stoppte, Jussupow lediglich auf sein Landgut schickte und den Grossfürsten Pawlowitsch in ein Regiment an der persischen Grenze versetzte. Wladimir Purischkewitsch, der nachweislich am Mordkomplott beteiligt gewesen war, behielt sogar seinen Platz in der Duma.
Der Zar verlor damit endgültig den Rückhalt der Bevölkerung. Für die Bauern war Rasputin einer der ihren, hinterrücks ermordet von Vertretern des russischen Adels. Und nun blieb die Bluttat auch noch ungestraft. Doch das Volk sollte sich bald rächen.
Und Rasputin hatte es vorausgesagt:
Aus dem Abschiedsbrief Rasputins an den Zaren Nikolaus II.
Zarin Alexandra Fjodorowna mit Rasputin, ihren Kindern und einer Gouvernante,1908. Die gesamte Zarenfamilie wurde im Juli 1918 auf Lenins Befehl von Männern der Tscheka erschossen. bild: wikimedia
Video: YouTube/40y4